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Hüte dich vor dem Diminutiv (oder: Warum man im Niederländischen nicht alles verkleinern sollte)

Last updated on 30-11-2023

Een lekker weertje, een tussendoortje

Niederländer lieben die Verkleinerungsform.

Das Problem: Deutsche lieben sie auch.

Häh?

OK, lass mich erklären, was ich meine.

Kleines Format, oder positives Verhältnis. Oder: Wann benutzt man im Niederländischen das Diminutiv?

Die Verkleinerungsform (Grammatik-Fans nennen sie das Diminutiv) wird im Niederländischen nicht nur verwendet, um eine geringe Größe zu bezeichnen. Genauso wichtig ist die Möglichkeit, damit das eigene positive Verhältnis oder die Nähe zum Genannten zum Ausdruck zu bringen. Man „verniedlicht“ Dinge und Gegebenheiten, die man gut findet.

So weit das Grundprinzip.

Es gibt jedoch genügend Situationen, in denen die Verkleinerungsform völlig fehl am Platz ist.

Hm … Wann denn?

Wann das Diminutiv nicht passt

Bedeutungswechsel

In nicht wenigen Fällen hat die Verkleinerungsform eine andere Bedeutung als das Grundwort.

Wer auf Niederländisch een ongelukje heeft, leidet entweder an Inkontinenz oder ist ungewollt schwanger geworden. Ein solches Missgeschick passiert vielleicht, wenn het kapotje* von het vriendje reißt.

het ongeluk der Unfall, das Unglück
het ongelukje das Malheur, die ungeplante Schwangerschaft, der ungewollte Urinverlust
kapot kaputt (nicht mehr heil)
het kapotje (umgangssprachlich) das Kondom
   

Kinder haben vriendjes – Spielkameraden. Reden Teenies oder Jung-Erwachsene von ihrem vriendje oder vriendinnetje, handelt es sich eigentlich immer um eine Liebschaft. Wer über zwanzig ist, hat een vriend oder een vriendin. Hier klingen vriendje und vriendinnetje einfach albern.

Ironie-Künstler

Niederländer sind Meister der Ironie. Oft bringt man mit dem Diminutiv eben dieses Stilmittel in Stellung. So lange das gewollt ist: prima! Aber um mit Ironie spielen zu können, muss man eine Sprache schon gut beherrschen.

Een goed idee. Ik zie alleen één probleempje.

Das heißt im Klartext: Ich gebe deiner Idee keine große Chance.

Geringschätzung

Die Verkleinerungsform kann auch herablassend wirken und Geringschätzung ausdrücken:

Wat een lulletje rozenwater zeg.

Einfach unpassend

Aber Vorsicht: Nicht alles, was man gut, schmackhaft oder angenehm findet, lässt sich in die Verkleinerungsform verpacken.

Eine Leuchtstoffröhre ist kein lampje. Eine Stadt wie Hamburg oder Utrecht ist kein leuk plekje sondern allenfalls een leuke plek om te wonen oder een leuke stad.

Wer allzu oft das Diminutiv bemüht, setzt sich damit früh oder spät ins Fettnäpfchen.

Wein und Käse klein, Fleisch nicht

Man kann gezellig een wijntje trinken und dazu een kaasje essen. Aber een vleesje? Das geht nicht.

Töchter und Söhne

Spätestens ab 15 sind die eigenen Kinder keine zoontjes und dochtertjes mehr sondern zonen en dochters. Die dann allerdings besagte vriendjes und vriendinnetjes bekommen:

Mijn dochter heeft sinds kort een vriendje.

Pommes – Frietje gegen frietjes

Een frietje – niederländische Pommes

Die in den Niederlanden sehr beliebten Pommes heißen friet oder patat.

Mickerige frietjes kriegt man bei McDonalds und anderen Futterkrippen.

Was man in einer niederländischen Snackbar durchaus bestellen kann, ist een frietje (Einzahl). Damit ist dann aber eine Portion Pommes gemeint, kein einzelnes Kartoffelstäbchen.

Verniedlichung im Gespür

Einfach?

Nein.

Die Niederländer wissen ganz genau, wann ein Diminutiv angebracht ist, und – mindestens genauso wichtig – wann nicht. Wer Niederländisch lernt, wird langsam ein Gespür dafür entwickeln. Bis dahin würde ich zu etwas Zurückhaltung raten.

* Nachtrag zu „kapotje

Leserin Tine wies in einem Kommentar darauf hin, dass kapotje nicht von kapot abgeleitet ist. Diese saloppe Bezeichnung für Kondom hat das Niederländische aus dem Englischen übernommen (das es wieder aus dem Französischen kannte).


Dies war dritte Post zum Thema Verniedlichung und Verkleinerung im Niederländischen. Hier findest du Teil I und Teil II:

Diminutiv – der niederländische Drang, Wörter zu verkleinern

Wenn Diminutive auf eigenen Beinen stehen


16 Kommentare

  1. Ah, danke schön. Wir hatten ja neulich den Fall, dass ich frietjes bestellen wollte, aber damit nur eine leckere Portion Fritten meinte, nicht die kleinen Pommesstäbchen bei Fastfood und Co. Ich habe es in meinem Artikel auch schon korrigiert :-).
    Mir bleibt noch das Dilemma mit der kleinen Pause und dem Papst. Geht Päuschen in NL wirklich nicht?

    • Geht „Päuschen“ in NL wirklich nicht?

      Het pausje könnte een pauzetje machen.

      Paus (Papst) und pauze (Pause) haben also unterschiedliche Dimitutiv-Formen, Oliver.

      • Ah, das ist der Trick, Danke! *gleich noch was auf meinem Artikel zu korrigieren* :-)

  2. Wo eine Diminutive nicht geht
    Im Zweiten Weltkrieg ist ein junger deutscher Jude in den Niederlanden untergetaucht. Er macht Bekanntschaft mit einer jungen Niederländerin. Er lernt eifrig Niederländisch. Bei einem erneuten Treffen fragt er das Mädchen „und wie geht es mit dem Billetje“? Sie errötet und ward nicht mehr in seiner Gegenwart gesehen.
    De Bilt ist die Wettervorhersagestation in den NL.
    Bil ist Pobacke.
    Er war mal mein Zahnarzt in Frankfurt

    • Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, wieso er ausgerechnet „De Bilt“ verkleinern wollte, Jeanet. Da muss sein Hang zum Diminutiv schon ausgesprochen groß gewesen sein ;)

      • Liebe Alex, er hat ja sehr empfindsam und empfindlich und empfänglich für die niederländische Kultur und Sprache genau diesen Hang nach Verkleinerung verspürt und aufgespürt. Jeder redet in den NL über das Wetter, also hatte er ein unschuldiges Thema. Er hatte Mut, nur keine Ahnung, dass manche Diminutive nicht gehen, zu wenig Übung. Oder siehst Du das anders?

        • Nein Jeanet, ich finde das schon bewundernswert – und liebenswert!

  3. aka oscar aka oscar

    Leuk om te zien dat het gevoel voor taal ook onder Nederlanders anders is;
    Voor mij hoort patat boven de rivieren en zijn frietjes hetzelfde als frieten waarbij ik die ‚Mickerige frietjes‘ eerder spuitfriet zou noemen; patat die met aardappelmeel gemaakt wordt in plaats van met echte aardappels…

    • Spuitfriet? Die benaming kende ik nog niet, Oscar. Bij ons heette dat rasfriet. Geef mij maar gewone …

  4. ist kapotje tatsächlich die Verkleinerung von kapot – kaputt? Oder kommt das nicht eher aus dem Französischen, da gibt’s das „capot anglaise“. Und capot heißt im Französischen Haube. Ist das kapotje nicht also eher ein Häubchen?

    • Ein super Hinweis, Tine. Danke!

      Ich habe gerade mal in die niederländische Etymologie-Datenbank geschaut: Kapotje ist von capote anglaise abgeleitet. Interessanterweise war das die englische Bezeichnung für eine „französische Schutzhaube“. Im Französischen selbst gab es die Kurzform capote, aber die scheint wenig verbreitet gewesen zu sein.

      Ich werde den Artikel ergänzen.

  5. Jeanet Bruining Jeanet Bruining

    Liebe Alex,
    da erzähle ich mal eine Story meines frankfurter Zahnarztes. Er war im WOII als junger deutscher Jude in den NL untergetaucht, hatte aber Bekanntschaften gemacht. Eine junge Dame mochte er besonders gern und er bemühte sich sehr, seine Gespräche mit ihr auf Niederländisch zu führen. Eines Tages bei unbestimmter Wetterlage fragte er sie bei der Begrüßung: „En, hoe gaat het met het billetje?“
    Diese Verkleinerung der Wettervorhersagestelle De Bilt machte einen Schlussstrich durch ihre angehende Beziehung.
    Einfach unanständig. Mit einer unschuldigen jungen Frau redet man nicht über ihre Pobacke.
    Groetjes, Jeanet

    • Ach, der Arme … Dabei hat er es doch so gut gemeint

  6. Oliver Oliver

    „Was man in einer niederländischen Snackbar durchaus bestellen kann, ist een frietje (Einzahl). Damit ist dann aber eine Portion Pommes gemeint, kein einzelnes Kartoffelstäbchen.“

    Dieser Singular hat sich auch im grenznahen Rheinland etabliert. In Aachen beispielsweise bestellt man auch „eine Fritte“ und meint damit eine ganze Portion Pommes (anfänglich ungewohnt wenn man aus anderen Teilen Deutschlands kommt).
    Allerdings nicht im Diminuitiv, ein „Frittchen“ gibt es im Deutschen nicht, auch nicht im Rheinland ;-) Ein „Frittenbüdche“ allerdings schon.

    • Danke für deine Ergänzung, Oliver. So habe ich auch wieder etwas dazugelernt :)

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