Last updated on 25-08-2017
Ein Gastbeitrag von Thomas Philipp Reiter aus Brüssel über die bevorstehende Übernahme der belgischen Supermarktkette Delhaize durch den niederländischen Konzern Ahold und die kulturellen wie sprachlichen Folgen.
Niederländisch wird nicht nur in den Niederlanden gesprochen. Auch auf den ehemaligen Kolonien Surinam und den Niederländischen Antillen ist das heutige Standard-Niederländisch die offizielle Amtssprache. Und in der belgischen Region Flandern natürlich. In Brüssel stehen Niederländisch und Französisch gleichberechtigt nebeneinander.
Flämisch
Anders als die europäische Hauptstadt ist Flandern immer noch sehr flämisch. „Flämisch“ ist trotz der räumlichen und sprachlichen Nähe zum nördlichen Nachbarn etwas anderes als niederländisch, auch wenn die Unterschiede nicht auf den ersten Blick deutlich werden. Viele Flamen wären gerne nicht belgisch, aber Niederländer wollen die meisten deswegen auch nicht werden.
Spaßbefreit
Trotz aller wirtschaftlichen und auch politischen Verbindungen: Belgier und Deutsche sind sich in aller Regel in herzlichem Desinteresse zugeneigt – wenn man nicht gerade an die beiden Weltkriege erinnert. Beim Blick nach Norden jedoch entstehen bei den Belgiern andere Gefühle:
Niederländer genießen bei Flamen zuweilen den Ruf, geizig, egoistisch, chauvinistisch (zuviel „Oranje“) und calvinistisch zu sein. Letzteres wird weitgehend mit spaßbefreit gleichgesetzt, was dem in Belgien gerne gepflegten burgundischen Lebensstil entgegen steht. Das hält die Niederländer jedoch nicht davon ab, mit ihren Wohnwagen belgische Campingplätze aufzusuchen, dann allerdings eher in den Ardennen als in Flandern. Dieser Landstrich gilt nach niederländischem Verständnis schon als Gebirge.
„Feindliche“ Übernahme
Umso schlimmer also aus belgischer Sicht, wenn ausgerechnet eine Einzelhandelsikone wie die Supermarktkette Delhaize in niederländische Hände fällt. Die Ahold-Gruppe hat jetzt bekannt gegeben, 61 Prozent der Anteile erworben zu haben.
Ahold ist in den Niederlanden vor allem bekannt für die Supermarktkette „Albert Heijn“. Die belgischen Tageszeitungen titeln entsprechend schwarzseherisch: „Belgier verlieren Kontrolle über Delhaize“ (Le Soir), „Von Holländern über den Tisch gezogen“ (Het Laatste Nieuws), „Ahold hat den Delhaize-Löwen geschluckt“ (La Dernière Heure).
Offiziell handelt es sich um eine Fusion, aber beim neuen Kräfteverhältnis wird klar: Sollten durch diesen Schachzug Arbeitsplätzein Gefahr geraten, wird dies eher in Belgien als in den Niederlanden der Fall sein. Nicht zuletzt deshalb, weil der Arbeitsmarkt in den Niederlanden deutlich flexibler ist und die Lohnkosten geringer sind. Übrig blieben dann in Belgien eine Art „Hamburgerjobs“.
Kulturelle Unterschiede
Der Verbraucher hat seine eigene Sicht auf die Dinge. Womöglich wird er sogar aufgrund der Größe des neuen Supermarktriesen mit sinkenden Preisen rechnen können. „Delhaize“ gilt in Belgien eher als teuer, „Albert Heijn“ hingegen als durchschnittlich. Tatsächlich ist das Preisniveau der beiden Ketten sehr ähnlich.
Der Schock über diesen Deal („schwarzer Tag für die belgische Wirtschaft“) hat seine Gründe. Denn beim Lebensmitteleinkauf werden kulturelle wie auch sprachliche Unterschiede zwischen Belgiern und Niederländern besonders schnell deutlich. Nur ein Beispiel: Im Norden ist man ähnlich wie in Deutschland daran gewöhnt, auch Frischware vorverpackt im Regal zu verkaufen. Beim südlichen Nachbarn hingegen kauft man diese Produkte lieber am Tresen.
Zoute drop, boerenkool, pindasaus
Größte Sorge ist aber, dass man sich jetzt vielleicht sogar auf ur-niederländische Produkte und Bezeichnungen in belgischen Supermärkten einstellen muss: zoute drop, boerenkool, pindasaus (salzige Lakritze, Grünkohl und Erdnuss-Sauce) sind in Belgien nicht sehr populär.
Sprachverwirrung
Besonders dramatisch: niederländische slagers und belgische beenhouwers (Metzger) schneiden Fleisch unterschiedlich und nutzen auch verschiedene Bezeichnungen. Das nördliche kogelbiefstuk (Steak von der Kugel) heißt im Süden in der von Oberseite oder dem Muskelstück geschnittenen Variante tournedos. Kwark (Quark) kennt man in Flandern unter der Bezeichnung plattekaas („flacher Käse“).
Wer jetzt neugierig nach „typisch flämischen“ Wörtern geworden ist, dem sei ein Blick in Het Vlaams Woordenboek – ein Online-Wörterbuch für Flämisch – wärmstens empfohlen.
Thomas Philipp Reiter (Profil auf about.me), der Autor dieses Gastbeitrags. Von seiner Hand stammt auch das Foto in diesem Artikel.
[Aktualisierung, Februar 2017]
Dieser Blogpost ist nun auch in Buchform erschienen und zwar im Buch „Unser belgisches Leben“ (ISBN 9789463429634)
Da kann ich die Belgier trösten. Nicht nur innerhalb Europas, sondern auch innerhalb einer Sprachregion ist ein Leben mit Vielfalt möglich. Wenn ich bei meiner Tochter in Wien einkaufen ging, brauchte ich anfangs auch ein Wörterbuch, um zu wissen, ob die Angebote an Fissolen, Topfen, Weichseln, Käsekrainern, Erdäfpeln und Vogerlsalat günstig sind und ob ich sie als Vegetarier überhaupt essen darf. Und auch innerhalb Deutschlands sollte man für den Fall, dass man auf eine im sprachlichen Bereich ungenügend ausgebildete Bäckereifachverkäuferin stößt, genau wissen, wo man Brötchen und wo man besser Rundstücke, Semmeln oder Schrippen bestellt.
Und wenn ich bei Schwiegermuttern in Aachen einkaufe, staune ich immer wieder darüber, wie sehr sich das Angebot im ALDI dort von dem im nur vier Kilometer entfernten Vaals unterscheidet. Ontbijtkoek, Komijnekaas, Appelstroop, Hagelslag und Pindakaas gibt es eben nur auf einer Seite der Grenze. Solche Produkte werden also vermutlich auch den Belgiern „erspart“ bleiben, wenn sie nicht jetzt schon dort in den Regalen liegen.
Schön gesagt, Dieter.
Der belgische Konsument wird nicht dazu gezwungen, typisch niederländische Produkte zu kaufen und ich kann mir kaum vorstellen, dass populäre belgische Ware nach der Übernahme aus den Regalen verdrängt wird.
Wohl aber besteht auf Grund der verschiedenen Bezeichnungen ein kleines Risiko auf Sprachverwirrung, aber das wird in der Praxis vermutlich nicht zu größeren Problemen führen.
Een mooi inzicht. Zelf heb ik bitter weinig ervaringen met Belgische supermarkten. Daarentegen ken ik wel veel Duitse (en Franse) ketens van binnen. Niet alleen Aldi en Lidl, maar ook bijvoorbeeld Norma, Netto en Penny zijn erg basaal en niet te vergelijken met Albert Heijn, die een stuk luxer en meteen flink duurder is. Vooral het huismerk. Als Delhaize nog duurder is, dan zal het verschil tussen hen en een Duitse supermarkt nog groter zijn.
Binnen Nederland worden overigens ook verschillende woorden gebruikt. In mijn regio tref je geen peentjes en kroten, maar wortels en bieten.
Daar noem je ook wat. In Nederland zijn Aldi en Lidl ook niet vergelijkbaar met Albert Heijn en in Duitsland heb je ook de „betere“ supermarkten. Het is maar, wat je met elkaar vergelijkt. Als je in een ander land dan in je geboorteland woont, zal je altijd artikelen missen, waaraan je gewend was, zie Alex, die veel over eten schrijft.
@Elise: Mogelijk zijn die ‚betere‘ supermarkten nog wel te vinden in de grotere steden, maar waar ik kom zijn die de laatste jaren grotendeels verdwenen en moet je het met 1 of 2 van die eerder genoemde 5 doen. Norma en dergelijke zijn wel anders dan Aldi of Lidl, ze verkopen de bekende merken maar hebben een zeer sobere winkelinrichting. Mij maakt dat niet uit, het wordt er niet viezer door. ;-)
Hier in NL heb ik een naast veel te veel AH’s en wat Jumbo’s een enorme keuze aan regionale supermarkten als Vomar, Deen en Deka die qua inrichting allemaal een stuk luxer zijn dan wat ik de laatste 10 jaar in Duitsland zie.
Ximaar heeft wel degelijk een punt. Ook de betere Duitse supermarkt (Edeka, Kaiser, Rewe etc) is nog altijd minder luxueus dan de voor ons zo doodnormale AH en Jumbo. In mijn tijd in Berlijn en Freiburg heb ik alle voorverpakte aardappelen, groentes, instant-maaltijden, de chipsafdeling (!!) etc toch duidelijk gemist. Ik denk dat hier wel degelijk een cultuurverschil in zit. De Duitse markt zit vol met discounters. Voor veel Nederlanders (incluus, toegeven, mezelf) is schappen met dozen nog steeds een beetje te goedkoop.
Daarentegen is de Belgische Delhaize inderdaad nog een stukje luxueuzer. Vooral het vlees. Dat is toch wel duidelijk van betere kwaliteit dan Nederlands supermarktvlees (meer te vergelijken wat je bij ons bij de keurslager krijgt).
Das stimmt. Hier in Deutschland nennt man diese Supermarktgattung oft Billigdiscounter und fast niemand findet dieses Wort komisch (ein Discounter IST ja schon ein Billiganbieter) …
Sehr viel weiß ich ja noch nicht über Belgien und die Belgier, doch mein Eindruck ist der, daß es sich sowohl bei Flamen als auch Wallonen um ein sehr schräges Künstlervölkchen handelt, welches in Vernissagen, Parties und Events aufgeht. Alles in allem lockere Vögel, die in einem gewissen Gegensatz zur holländischen Handelskultur (und ich schreibe hier bewußt holländisch) stehen. Wir haben es also mit einer ganz anderen Mentalität zu tun.
Dies wurde mir besonders bewußt, als ich vor einiger Zeit in Maaseik in einen Colruyt-Markt hineintappte. Ich war völlig irritiert, fand ich mich doch in einem Gebäude mit der Ästhetik einer Tiefgarage wieder. Es war furchtbar finster, und die Atmosphäre hatte nun wirklich nichts von einem Supermarkt. Sicher, da waren Regale und Kühltruhen, aber für mich fühlte es sich einfach nicht nach Supermarkt an. War ich hier in ein Lagerhaus hineingeraten?
Für einen Eindruck hier einmal ein Bild: https://userbase.be/forum/viewtopic.php?p=589718
Meine Begleiterin Silke und ich verließen fluchtartig diese seltsame Stätte. Im Nachhinein stellte sich heraus, daß da wohl eine Architektin diesen gruftigen Look, der alle Colruyt-Märkte „auszeichnet“, auf dem Kerbholz hat.
Interessante Einschätzung.
Doch gerade bei Colruyt, eine Mischung aus „Metro“ und früherem „real“ bekommt man Markenware um ein Vielfaches günstiger als andernorts. Überdies leisten sich die meisten Filialen eigene Schlachtereien, die man in den meisten deutschen Mittelstädten ja schon gar nicht mehr findet.
Generell kann man festhalten, dass Belgier weitaus mehr Wert auf gutes Essen (und Trinken) legen als Deutsche und Niederländer und sich das sowohl im besseren Angebot als auch in höheren Preisen niederschlägt.
Genau diese weitgehende alltägliche Genussfeindlichkeit der „noorderburen“ als auch der ja ohnehin sehr speziellen Nachbarn im Osten führt dazu, dass sich auch niederländisch- und deutschsprachige Belgier, ebenso wie die französischsprachigen, stärker mit anderen Nachbarländern verbunden fühlen als ausgerechnet mit Niederländern und Deutschen. Insoweit muss man für das Misstrauen gegenüber der feindlichen Übernahme von Delhaize durchaus Verständnis haben.
Colruyt sieht auch nicht anders aus als Kaufland und diverse andere Händler, die in Leichtbauhallen beheimatet sind.
Metro ist ein guter Einwand, im übrigen ist Real (ehem. massa) im Kontrast zum Cash’n’Carry die EH-Schiene von Metro. Also gleicher Laden anderer Aufkleber :-).
Penny (REWE), Netto (ehemals Plus – Discounter von K&T), Aldi und LIDL sind ja Discounter und sicher nicht DER Maßstab, REWE (city/center) sind Vollsortimenter, ebenso wie auch Tegut oder Edeka. (Es gibt sicher noch einige mehr, die aber nicht in jeder Region auftauchen, HIT, Globus – was ist eigentlich mit Spar in D?)
In Deutschland haben Supermärkte noch nie Schlachtereien besessen, die meisten Kunden fänden es wohl befremdlich, wenn morgens um 5 das Lebendvieh angeliefert würde, das sie einige Stunden später zerschnippelt im Markt kaufen.
Fleischerein ist was anderes, wobei das Gros der Wurst natürlich nicht in der Supermarktfiliale hergestellt wird (Stichwort:QS – Man möchte ja nicht , daß in jeder Filiale die Wurst anders schmeckt …). Fleischtheken gibt es bei REWE und auch REAL definitiv, bei anderen Vollsortimentern kann ich es nicht sagen.
Und zu letzt möchte ich noch anmerken, daß ich das mit den Belgiern und gutem Essen nicht nachvollziehen kann, denn das schlechte Essen ist das, was mir vor allem von Belgien im Gedächtnis geblieben ist – Einigen wir uns doch eher darauf, daß die Geschmäcker sich einfach unterscheiden – Die Pralinen sind aber definitiv toll ;-).
Danke für diese Ergänzung Karl. Und bei den Pralinen stimme ich Dir auf jeden Fall zu :-)
Hallo
also ich weiß nicht wie Sie auf die Idee kommen, dass Deutsche und „Belgier“ „in aller Regel in herzlichem Desinteresse zugeneigt sind“.
Im flämischen Teil Belgiens erlebt man genau das Gegenteil, während man den niederländischen und französischen Nachbarn eher reserviert gegenüber steht, wird man als Deutscher sehr positiv wahrgenommen.
Übrigens auch, wenn es um das Thema 2.Weltkrieg geht, da hier, im Gegensatz zu den Niederlanden, nach dem Krieg plötzlich nicht „alle im Widerstand“ waren, sondern die Besatzungszeit sehr differenziert betrachtet wird.