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Ein Rätsel der deutschen Sprache: warum bedankt man sich?

Last updated on 23-04-2023

Wenn ich im Deutschen jemandem höflich danken möchte, sage ich, je nachdem, ob ich die Person duze oder sieze:

herzlichen Dank für deine Hilfe

oder

ich danke Ihnen für Ihre Hilfe


Bei deutschen Muttersprachler:innen höre ich jedoch oft Sätze wie

ich bedanke mich für das nette Gespräch

Das wundert mich als Sprachmensch, denn warum nutzt man hier sich?

Reflexivpronomen: ich mich, du dich

Sich bezieht sich als sogenanntes Reflexivpronomen immer auf das Subjekt des Satzes und bedeutet im Prinzip sich selbst. Reflexivpronomen stehen zudem normalerweise im Akkusativ: Ich mich, du dich, sie sich, wir uns, ihr euch und sie wiederum sich.

Leicht nachvollziehbar ist das zum Beispiel bei sich freuen, sich schämen oder sich verschlucken:

  • ich freue mich
  • er verschluckt sich
  • ihr solltet euch schämen

Sonderfall sich bedanken

Bei sich bedanken ist sich aber nicht identisch mit dem Subjekt des Satzes. Man spricht ja nicht sich selbst seinen Dank aus, sondern einer anderen Person.

Kniefall

Woher kommt dieses Konstrukt? Ist es historisch gewachsen und kommt es aus einer Zeit, in der man sich höflich oder ehrerbietig vor jemand anderem verbeugte oder verneigte, um Dankbarkeit zu zeigen oder sie auszusprechen? Ist sich bedanken bei jemandem also eigentlich aus einer Art Kniefall entstanden?

Eine wirkliche Antwort habe ich leider nicht finden können. Als mich buurtaal-Leser Reinier letztens auch auf dieses Thema ansprach, entsprang jedoch spontan das folgende Gedicht aus dieser Frage.

Sich bedanken? Dafür bedanke ich mich.

Ich wasche mich, und du wäschst dich
Wir waschen uns, ganz regulär
Mit Seife und ’nem Reflexiv

Ich gräme mich, du wunderst dich
Er ziert sich, sie entscheidet sich
Ganz sicher für ein Reflexiv

Und wenn wir uns zusammentun
Wir uns sehen, lieben, küssen
Dann ist das zwar kein Reflexiv
Doch unser Liebesdialog
Ist immerhin sehr reziprok

Wo wir uns treffen und vergnügen
In wechselseitigen Höhenflügen
Uns permissiv dem Schicksal fügen
Dort wälzen wir uns fast lasziv
In Reziprok und Reflexiv

Ich bücke mich, und du duckst dich
Wir täuschen uns, ich irre mich
Doch niemals in dem Reflexiv

Und wir bedanken uns – na klar
Dann dankst du mir und ich dank‘ dir
Ja, reziprok passt wunderbar

ABER

Mich selbst bedanken? Sehr ungern
Von Eigenlob halt‘ ich mich fern
Jemandem danken geht auch so
Verzicht auf be– und mit Dativ
Und gänzlich ohne Reflexiv


21 Kommentare

  1. Zum Thema „Reflexiv“.
    Die Sonderheiten der eigenen Regionalsprache erkennt man ja meist erst, wenn man woanders wohnt und darauf hingewiesen wird.
    Ich bin im Münsterland aufgewachsen und da nutzt man sehr viele Verben reflexiv: „Ich esse mir einen Apfel.“ (Ja, wem denn sonst?)

    • Ich esse mir einen Apfel.

      Spannend, Christine. Diesen regionalen Gebrauch des Reflexivs kannte ich noch nicht.

    • Adam Adam

      Naja, man kann jemandem etwas wegessen.

  2. Tine Tine

    spannend! Ich weiß auch keine Antwort.
    Aber noch seltsamer ist es bei: ich entschuldige mich
    Das ist noch unlogischer, denn wenn ich Schuld habe, dann kann ich ja nur um Entschuldigung bitten, ich kann mich ja nicht selbst entschuldigen.

    Wir scheinen hier ein Land von Heimwerkern zu sein: Do it yourself nicht nur beim Basteln sondern auch beim Danken und Ent-Schulden

    • Alex Alex

      Hi Tine, stimmt! Und auch im Niederländischen heißt es: zich verontschuldigen. Ich gehe dem mal hinterher ️‍♀️

      • Frank Frank

        „Ich gehe dem mal hinterher“

        Nein, du gehst dem mal nach

        • Frank Frank

          Die Kommentarfunktion hat leider den Smiley nicht angenommen, daher jetzt so :-))

            • Frank Frank

              Goed zo, dat is heel belangrijk:-))

  3. Oliver Oliver

    In der Tat spannend. Nie darüber nachgedacht als Muttersprachler. Ein Kompromiss: wäre „Ich bedanke mich bei dir“, aber es gibt eigentlich keinen wirklichen Grund, nicht einfach zu sagen „Ich danke dir“.

    Beim Entschuldigen find ich es tendenziell plausibler, man kann sich entschuldigen, man kann sich aber auch entschuldigen lassen oder auch jemand anderen oder etwas anderes entschuldigen: „Bitte entschuldigen Sie mich bei Ihrer Mutter“, „Sie müssen meinen Bruder entschuldigen, er meint es nicht so“, „Das Fehlen meiner Tochter bitte ich zu entschuldigen“. Dabei geht es darum, die Schuld von jemandem zu nehmen, eben zu ent-schuldigen.
    Aber beim Danken passt der Reflexiv wirklich nicht. Bin gespannt ob du noch was darüber herausfindest, Alex.

  4. Paul Paul

    Ja, ’sich bedanken‘ ist fast so schön, wie ’sich beschenken‘.
    Man besorgt sich etwas, bezahlt es evtl. sogar, und überrascht sich dann…

    Deutsche Sprache und einheitliche, logische Regeln?
    Love it or leave it. Oder, besser: Forget it.

  5. Dieter König Dieter König

    Ich musste auch spontan an das „sich entschuldigen“ denken. Es ist zwar üblich, aber im Kern unhöflich. Schon gar „Du musst … entschuldigen“! Die Entschuldigung muss ich immer dem/der Anderen überlassen; ich kann nur darum bitten.

    Verrückt und auch ein wenig verwandt: „Ich nehme Urlaub“. Das Wort „Urlaub“ kommt von „Erlaubnis“. Gemeint ist die Erlaubnis, sich von seinem Arbeitsplatz, seiner Wohnstätte oder seinem Dienstherrn zu entfernen. Im Arbeitsrecht muss ich den Urlaub zwar noch beantragen und er muss mir gewährt werden, bevor ich verschwinden kann, aber ansonsten hat das Wort mit Ende der Lehnsherrschaft und der Leibeigenschaft seine Bedeutung verloren. Dennoch müsste es eigentlich heißen: „Ich bitte um Urlaub“.
    Das würde ich ungern bei meinem/r ArbeitgeberIn so vorbringen. Wie schön, dass ich auch im Deutschen einfach „im Urlaub“ sein oder Urlaub haben kann, so wie im Niederländischen „met vakantie“.

  6. Anja Anja

    Auch mich hat die Frage sofort zum Nachdenken und Recherchieren bewegt. Laut etymologischem Wörterbuch ist „Dank/danken“ verwandt mit „denken“ und bedeutete ursprünglich „Denken, Gedenken“ und bezeichnete dann das mit dem (Ge)denken verbundene Gefühl und die Äußerung dankbarer Gesinnung. Diese Erläuterung zusammen mit dem Satz „Also bedancke ich mich gegen dem Allmechtigen Schöpffer Hymels/ Erden vnd Meers […]“ von 1557 (gefunden: DTA-Erweiterungen (1465–1969), Belege zu „bedanken“) brachte mich auf den Gedanken, dass man sich ursprünglich in gewissen Fällen womöglich selbst mit Dank gegenüber einer Person belegt hat, sich Dank auferlegt hat, sich in den Zustand dankbarer Gesinnung/dankbaren Gefühls gebracht hat. Sich also be-dankt hat. Kommt vielleicht dem erwähnten Kniefall nahe – eine Demuts- und Ehrfürchtigkeitsbezeugung.
    Ich jedenfalls werde mich in Zukunft anders fühlen beim Bedanken und das Verb wohl gezielter verwenden…

  7. Schön, dass ihr den Artikel anregend fandet. Danke für eure Überlegungen dazu, Dieter und Anja.

    Und ja: Ich glaube, unsere Gedanken zur Herkunft von „sich“ in „sich bedanken“ gehen in die gleiche Richtung, Anja :)

  8. Annett Annett

    Interessant. Als ich vor über 20 Jahren von Berlin ins Ruhrgebiet gezogen bin, ist mir auch oft ein seltsamer Reflexiv aufgefallen… wie etwa: Ich trink mir einen. Oder: Ich geh mir mal eine rauchen.

    • Das Phänomen scheint weiter verbreitet zu sein, als ich vermutet hatte ;)

  9. Andrea Andrea

    Es geht noch „schlimmer“: „Mit jemandem schreiben.“ – das habe ich einmal wo gelesen.

    Man schreibt jemandem einen Brief/ein WhatsApp/ein SMS oder was auch immer. Gut.

    Doch das Wort „Mit“ ist in diesem Fall zuviel des guten.

    Herzliche Grüße

    Andrea

    • Ich glaube, damit meint man, dass man im Briefwechsel mit jemanden steht, also, dass man sich gegenseitig regelmäßig Briefe schreibt.

  10. Paul Paul

    Noch nicht hier aufgetaucht ist ‚Na, da bedank‘ ich mich aber!‘, was ja wohl das Gegenteil von Dank meint.
    Ein weites Feld, die Sprache…

    • Danke für deine Ergänzung, Paul. Im Niederländischen könnte da man sagen:

      Nou, daar bedank ik voor.

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