Last updated on 12-03-2023
Es ist Mittwochnachmittag. Mein Stiefvater ist in der Hochschule, meine Mutter steht auf dem Tennisplatz, meine Schwestern spielen bei Freundinnen. Ich habe schulfrei und liege mit einem Buch über Monsterspinnen auf dem Sofa. Auf dem Beistelltisch liegt eine Tüte zwart-wit-pastilles, in die ich regelmäßig hineingreife. Nur für mich.
Himmel auf Erden.
Auch heutzutage kommt mir diese Kindheitserinnerung oft in den Sinn, wenn ich Lakritz esse. Aber auch, wenn ich in einer dieser sprichwörtlichen ruhigen Minuten in ein Buch abtauche. Die Tüte mit eigenem Taschengeld gekochte drop verbinde ich mit einer kleinen Insel Zeit ganz für mich alleine.
Die Niederländer sind Lakritz-Esser
Die Niederländer sind drop-eters deutsch: Lakritz-Esser . Pro Jahr essen niederländische Erwachsene rund 1,75 Kilo Lakritz. Zum Lakritz-Konsum in Deutschland habe ich keine verlässlichen Zahlen finden können, er dürfte jedoch deutlich bescheidener ausfallen.
Auch ich esse inzwischen deutlich weniger drop als in meiner Kindheit. Das hat aber wenig mit Lakritz an sich zu tun, als mit der Tatsache, dass ich im Laufe der Jahre generell immer weniger zu Süßigkeiten greife.
Heimatgefühle
Nichtsdestotrotz nehme ich bei meinen Besuchen in die Heimat regelmäßig eine Tüte drop mit zurück nach Hannover. Und damit bin ich nicht allein, so geht es aus einer Untersuchung der Nederlandse Taalunie nach Sprache, Kultur und Identität ausgewanderter Niederländer und Flamen hervor. Lakritz gehört offensichtlich – genauso wie kroketten, stamppot und speculaas – irgendwie zur niederländischen Identität.
Süßes und salziges Lakritz
Obwohl es in den Niederlanden dutzende unterschiedliche Sorten drop gibt (eine Website listet sogar 400 Varietäten), lassen sie sich alle grob in süß und salzig unterteilen. Süßes Lakritz heißt auf Niederländisch zoete drop und die salzigen Varianten zoute drop.
Für Hartgesottene: dubbelzout und driedubbelzout
Neben dem herkömmlichen zoute drop gibt es in den Niederlanden die Varianten dubbelzout und sogar driedubbelzout.
Warum heißt Lakritz auf Niederländisch drop?
Die Deutschen sagen Lakritz, die Engländer nennen die Süßigkeit Liquorice. Die beiden Schwestersprachen des Niederländischen orientieren sich bei der Namensgebung am spätlateinischen Wort liquiritia. Das wiederum geht auf das altgriechische glykyrrhiza zurück: süße Wurzel. Die botanische Bezeichnung der Süßholzpflanze ist Glycyrrhiza glabra.
Ein Tropfen Süßholzextrakt
Im Niederländischen war es nicht die Pflanze, die Namenspate war, sondern das mittelniederländische Wort drop: Tropfen. Es stand hier für einen Tropfen Süßholzextrakt: die für den Lakritzgeschmack so kennzeichnende Zutat. In erster Linie galt der Extrakt als Medikament, er linderte nämlich Husten.
Als eine Art Pars pro Toto etablierte sich drop im Niederländischen auch als Bezeichnung für aus Süßholzextrakt-Tropfen hergestellte Erzeugnisse. Bereits in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts aß man drop auch zum Vergnügen, also nicht mehr nur gegen Halsbeschwerden.
Drop und dropje sind nicht das Gleiche
Wähernd drop im Niederländischen die Süßigkeit als solche bezeichnet, meint man mit der Verkleinerungsform dropje ein einzelnes Exemplar. Gleiches gilt für chocola und snoep, die als unzählbare Substantive eine Art Gattungsbezeichnung darstellen.
de drop | das/der Lakritz |
het dropje | das/der Lakritz |
twee dropjes | zwei Lakritze |
een zak drop | eine Tüte Lakritz |
ik houd van drop | ich mag Lakritz |
ik houd niet van drop | ich mag kein Lakritz/keine Lakritze |
Deutsches Erwachsenenlakritz
Der salzige Geschmack von Lakritz rührt übrigens nicht (oder zumindest nicht hauptsächlich) vom herkömmlichen Speisesalz her, sondern vom darin enthaltenen Salmiaksalz. Da dieses Mineral gesundheitlich nicht ganz unbedenklich ist, müssen Hersteller in Deutschland deshalb auf der Verpackung den Warnhinweis „Erwachsenenlakritz – kein Kinderlakritz“ anbringen.
Nur gut, dass ich meine Kindheit nicht in Deutschland verbracht habe, denn da wäre ich um eine schöne Erinnerung ärmer.
Lakritz und Gesundheit
Interessanterweise enthält süßes Lakritz mehr Salz als salziges Lakritz, nämlich ungefähr 200 mg im Vergleich zu 150 mg pro 100 Gramm drop. Zoete drop enthält – wenig überrasschend – mehr Zucker, und der übertönt den Salzgeschmack.
Salmiaksalz
Salmiaksalz (Ammoniumchlorid (NH4Cl) kann in größeren Mengen zu Übelkeit, Erbrechen oder Schlimmerem führen. Bis 2013 war und seit 2021 ist Lakritz mit mehr als 20 Gramm Salmiaksalz pro Kilogramm in Deutschland deswegen kennzeichnungspflichtig.
Glycyrrhizin
Auch Süßholzextrakt hat (inzwischen) medizinisch keinen so guten Ruf (mehr). Es enthält nämlich den natürlichen Süßstoff Glycyrrhizin, der in größeren Mengen zu Bluthochdruck, Wassereinlagerungen im Gewebe und Muskelschwäche führen kann, so das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Bluthochdruck
Nicht das Salz in Lakritz kann zu Bluthochdruck führen, sondern das Glycyrrhizin.
Die Menge macht’s
Wie bei eigentlich allem im Leben kommt es auf die Dosierung an. Einige wenige Lakritze am Tag dürften für gesunde Personen unbedenklich sein.
Wieder ein sehr kurzweiliger und interessanter Artikel!
Interessanterweise wird in Süddeutschland deutlich weniger Lakritz konsumiert als in Norddeutschland (passend dazu kennt man es dort auch unter dem wenig appetitlichen Namen „Bärendreck“).
Eine Theorie dazu ist, dass die Süßholzwurzel und damit auch Lakritz in früheren Zeiten vor allem in Hafen-/ Küstenstädten und deren Umgebung Verbreitung fanden. Dazu passt, dass neben den Niederländern auch die Dänen/Skandinavier und Briten besonders gern Lakritz essen und es in Deutschland eben vor allem im Norden beliebt ist.
Der Nord-Süd-Unterschied bei der Beliebtheit von Lakritz in Deutschland war mir auch schon aufgefallen, Oliver. Die mögliche Erklärung klingt plausibel, aber so richtig werden wir es wohl nie wissen.
Guten Morgen liebe Alex, nun hatte ich Dir einen Kommentar verfasst und war versehentlich in einem älteren Blogbeitrag gelandet :-) Ich poste ihn hier auch nochmal:
Hallo liebe Alex,
ich wohne inzwischen direkt an der deutsch-niederländischen Landesgrenze im schönen Wassenberg (nächste Orte sind Vlodrop, Posterholt und Roermond, Provinz Limburg) und finde seit diesem Jahr auch wieder die Zeit zum bloggen. Ich liebe die Nähe zu den schönen Niederlanden und hier im Grenzgebiet ist es völlig normal, beide Sprachen zu hören. Deine Landsleute kommen gerne bei uns shoppen, wir fahren supergerne rüber zum Bummeln und an die Maas. Um unsere lieben Nachbarn besser zu verstehen, werde ich jetzt mal regelmäßig bei Dir lesen, Du hast so fantastische und wertvolle Tipps!!! Dir und Deinen Lieben wünsche ich einen wunderbaren Start in den März und sende liebe Grüße vom Niederrhein! Loni x
Liebe Loni, wie schön wieder von dir zu hören! Ich habe mich sehr über deinen Kommentar und das Lob gefreut!
Dir auch alles gute, wir lesen uns :)
Hallo Alex, danke dir für diesen Artikel. Tolles Thema. Habe mich mal wieder aufrappeln können, um selber einen Artikel für meinen Blog zu schreiben.
Hi Sabine, ach, das freut mich! Sehr schön!
[…] Freitag fand ich einen Newsletter von Buurtaal blog in meiner Mailbox. Der Titel ‚Lakritz ist ein Gefühl‘ machte mich froh und glücklich. Es […]
[…] Form mit -je kommt auf jeden Fall am Häufigsten vor: hondje, doosje und bakje, kindje, dropje, […]