Last updated on 04-03-2013
In diesem Gastbeitrag stellt die freie Redakteurin Claudia Schmidt die niederländische Autorin Connie Palmen vor
Connie Palmen – Portrait einer leider viel zu wenig bekannten Autorin von Weltformat
Liebesgeschichten kennt die Literatur zur Genüge. Schließlich ist die Liebe der Stoff, der den Menschen zugleich stärkstes Antriebsmoment und Ursache des größten Kummers ist. Die Kunst eines guten Buchs liegt genau darin, die alte Geschichte von der Begegnung zweier verwandter Seelen neu zu erzählen, ohne in altbekannte Muster zu verfallen.
Connie Palmens aktuellstes Buch aus 2011 (niederländischer Titel: Logboek van een onbarmhartig jaar) neben De Erfenis, dem Boekenweekgeschenk aus dem Jahr 1999)
Liebesgeschichten, die zur Legende wurden (gerade weil sie in den meisten Fällen tragisch endeten, was fast schon eine Voraussetzung einer wirklich bedeutsamen Liebesgeschichte zu sein scheint), gibt es unzählig viele. Eigentlich kommt kein großer Roman ohne sie aus, egal ob wir an Goethes „Faust“, Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti“, Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ oder Philippe Djians „37,2 Grad am Morgen“ (für mich eine der bewegendsten Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts) denken. Alle vier Autoren sind mittlerweile Legende – und das nicht nur in ihren Heimatländern, sondern mittlerweile in der ganzen (oder zumindest der abendländischen) Welt.
Philosophin
Connie Palmen kennt hingegen kaum jemand, was jammerschade ist. Denn gerade diese Autorin hätte es durchaus verdient, in den Rang der ganz Großen mit aufgenommen zu werden. Geboren 1955 in Sint Odiliënberg in den Niederlanden schloss sie zunächst eine Ausbildung im Bereich der Pädagogik ab, um dann in Amsterdam ein Studium der Philosophie und Literatur zu absolvieren.
Philosophische Fragen beschäftigten sie schon sehr früh. Als junges Mädchen hegte sie, die in einem streng katholischen Elternwuchs aufwuchs, jedoch noch den Wunsch, Priesterin oder Nonne zu werden. Recht bald schon erkannte sie jedoch ihre wahre Berufung:
Es gibt viele Gründe, warum jemand Schriftsteller wird. Aber der allererste Grund ist ein schon sehr früh entstandenes Gefühl von Einsamkeit, der Einsamkeit des Denkens. Schon mit fünf oder sechs Jahren spürt man, dass man anders denkt. Und man weiß: Später werde ich erzählen, was ich fühle.
Ihr erster, 1991 erschienener Roman De Wetten, zu Deutsch Die Gesetze, machte sie augenblicklich zum Shootingstar der niederländischen Literaturszene. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Bildungsroman und Liebesgeschichte, um philosophische Fragen nach der Existenz des Universums und der Rolle des Menschen in seinem Inneren. Für dieses Werk wurde Connie Palmen mit dem Gouden Ezelsoor für die meistverkaufte Ersterscheinung ausgezeichnet; es kann in sieben Sprachen gelesen werden.
Schlüsselmoment
Anlässlich dieses großen Erfolgs wurde sie in eine Sendung des niederländischen Starjournalisten Ischa Meijer eingeladen, was sich als Schlüsselmoment ihres weiteren Lebens entpuppen sollte: Die Begegnung der beiden gab den Auftakt einer sensationellen Liebesgeschichte, die vier Jahre andauern und durch den plötzlichen Tod Ischas 1995 tragisch enden sollte.
Mit ihrem Buch I.M., das nicht nur für die Initialen Ischas Namen, sondern auch für In Margine, In Memoriam steht, setzte Palmen ihrem verstobenen Partner ein grandioses Denkmal, wie es in der Literaturgeschichte nur wenige gibt. In ihm erzählt sie die Geschichte der Liebenden auf eine recht eigentümliche, so gar nicht romanartige Weise nach – entstanden ist ein Mosaik aus philosophischen Betrachtungen, Dialogabrissen und cinematisch wiedergegebenen Szenen aus dem Leben der beiden doch so unterschiedlichen Intellektuellen.
Palmen beschreibt sich als eher zurückgezogenen, sehr reflektierten Menschen, wohingegen Ischa eher als Halodri galt – ihm werden eine blühende Phantasie (die oft in seinen Reportagen Einzug fand), überdurchschnittliche Entertainer-Qualitäten und ein ungewöhnlich starkes Charisma nachgesagt. Die Frauen zogen ihn magisch an – auch während der Beziehung zu Palmen trieb es ihn immer wieder zu anderen Damen.
Trauma
Von den Traumata seiner Kindheit konnte er sich nie lossagen – zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder war er als Kind in Bergen-Belsen inhaftiert, was die Familie jedoch überlebte. Als er 18 war, brachen die Eltern jedoch den Kontakt zu ihm ab, was einen Schock in ihm auslöste, den er nie überwinden konnte. Sehr wohl fand er jedoch in seiner Liebe zu Palmen zumindest zeitweise die ihm fehlende Geborgenheit. Sein Tod hingegen riss Palmen in eine tiefe Depression, in der sie lange völlig reglos verweilen sollte.
Die Tragik sollte sich auch in ihren späteren Beziehungen fortsetzen. Seit 1999 war die Schriftstellerin mit dem ehemaligen Außenminister Hans van Mierlo liiert – Ende 2009 heiratete sie ihn. Wenige Monate später starb er.
Nach „I.M.“ veröffentlichte sie noch weitere Bücher. De Vriendschap – Die Freundschaft, erschien 1995 und erhielt den niederländischen AKO-Literaturpreis.
Bis heute veröffentlichte Palmen zehn Romane. Ihre drittletzte Erscheinung von 2007 mit dem Titel Luzifer beruht auf wahren Begebenheiten. Hier geht es um den mysteriösen Tod der Lebensgefährtin des Komponisten Peter Schat im Jahre 1981. Auf interessante und außergewöhnliche Weise wird hier vor allem das Denken und Handeln der Trauernden thematisiert, wobei die Todesfrage ungeklärt bleibt.
Auch in ihrem letzten Werk stehen Leben, Tod und Trauer im Mittelpunkt. Mit Logbuch eines unbarmherzigen Jahres setzt die Autorin Hans van Mierlo ein eindrucksvolles Denkmal.
Palmen, die nach eigenen Aussagen mit Absicht einen Beruf ergriffen hat, der es ihr ermöglicht, täglich acht Stunden allein zu verbringen, schätzt doch den Trubel von Großstädten. Mit 22 zog sie aus der südholländischen Provinz nach Amsterdam, wo sie bis heute lebt.
Amsterdam ist sehr wichtig. Ich könnte mir höchstens eine noch größere Stadt vorstellen, New York vielleicht oder Berlin. Das sind die zwei Seelen in meiner Brust: Man kann sich zurückziehen und weiß doch, draußen gibt es so viel Leben.
Die Lektüre Palmens Bücher, die mit ihren lebendigen Beschreibungen Amsterdam ein Denkmal setzen, machen Lust auf eine Städtereise in die Kultmetropole. Bei Zalando können Sie sich Tipps holen, was das perfekte Outfit für Ihre Reise anbelangt. Und was die Lektüre für die Reise angeht, besteht ja kein Zweifel mehr – „I.M.“ gehört natürlich ins Gepäck. Eine schlaflose Nacht im Hotelbett ist programmiert.
Die Amazon-Links zu den Büchern von Connie Palmen sind sogenannte affiliate Links.
Danke für den interessanten Lesetipp, Alex!
Ich guck mal, ob es I.M. auch auf Deutsch gibt.
Hi Lucy, ja, „I.M“ gibt es auch auf Deutsch. Im Text wird auch auf die deutsche Ausgabe bei Amazon verlinkt.
Ich las Connie Palmen zum ersten Mal, als ich 17 war. Diogenes hat(te?) ein umfangreiches Sortiment. Allerdings war das deutlich zu früh, ich mochte sie nicht. Erst hier in den Niederlanden habe ich, deutlich älter, sie wirklich schätzen gelernt. Vor allem, nachdem ich sie im Fernsehen in verschiedenen Interviews sah: Eine Grande Dame der Literatur.
Aha, das finde ich interessant. Mir ist es in meiner Jugend nämlich ähnlich ergangen :-) Vielleicht sollte ich in diesem etwas reiferen Alter mal einen neuen Versuch wagen ….
Ein kleiner Nachtrag zu meinem vorigen Kommentar: Am Wochenende habe ich mich mit meiner Mutter unterhalten. Sie erzählte mir, dass ihr I.M. gut gefallen habe. Da wir, wenn es um Bücher und Filme geht, oft einen ähnlichen Geschmack haben, werte ich das als zusätzliche Empfehlung ;-)
Bei meinem nächsten Besuch in der alten Heimat werde ich mir das Buch auf jeden Fall mal anschauen.
Lezenswaardig, Nederland met een glimlach beschreven door de ogen van Annette Birschel.
Van „Sorry, moet kunnen“ via steile trappen naar ‚koekje bij de thee‘: Mordsgouda.
Zu dem Buch gibt es hier im Blog einen eigenen Beitrag:
Die Niederlande durch deutsche Augen: zwei Buchrezensionen
Ich habe I.M. ungefähr vor 10 Jahren an einem Sonntag gelesen. Ich konnte das Buch nicht weglegen. Ich habe mitgelitten und geweint und ohne Pause gelesen. Danach habe ich mir alle Bücher von Connie Palmen gekauft. Die Sprache von Connie Palmen im Buch I.M. finde ich so feinfühlig und treffend, wie ich es noch nie empfunden habe. So treffend habe ich noch nie über Gefühle gelesen. Connie Palmen, ich liebe sie.
Schön, dass sie in Dir einen so treuen Fan gefunden hat, Renate!